Gerald Graham
geboren 27. Juni 1918 in Berlin,
gestorben 21. Januar 2017 in London
Ein ganz besonderer Mensch hat uns verlassen!
Gerald Ralph Graham wurde kurz vor Ende des 1.Weltkrieg als 2.Sohn der liberalen jüdischen Familie Gerhard Greiffenhagen in Berlin geboren. Dort besuchte er die Volksschule und das Mommsen-Gymnasium, zuletzt von 1934 – 37 das humanistische Prinz-Heinrich-Gymnasium, wo er sein Abitur ablegte. Im Jahr davor hatte er in London einen mehrwöchigen Sprachaufenthalt bei einer befreundeten Familie verbracht. Die immer bedrückender werdende Situation für Juden zwang seinen Vater zur Praxisaufgabe. 1938 gelangte Gerald mit seiner Familie nach England, wo er am Middlesex College sein Medizin-Studium begann. Da die deutschen Luftangriffe auf London immer bedrohlicher wurden, emigrierte die Familie 1940 in die USA, wo sie sich einen neuen Namen – Graham – zulegte. 1941 begann er mit einem Stipendium ein Studium in Zoologie, Chemie und Psychologie am Carleton-College in Northfield –Minnesota und wechselte 1942 für einen Master-Studiengang an die Indiana-University Bloomington. 1943/44 kam er erstmalig mit der Kardiologie in Berührung, als ihn der berühmte Kreislaufphysiologe Louis Katz. in Chicago als Laborassistent einstellte. Nebenher studierte er Physiologie mit einem Abschluss als Master. Sein Medizin – Studium begann er aber in Cleveland, wo er gleichzeitig schon als Lehrassistent bei dem berühmten Kardiologen Carl Wiggers arbeitete. Nach Abschluss seines Medizin-Studiums ging er 1951 nach Chicago zurück, um sein Internship abzuleisten und erste klinische Erfahrungen zu sammeln. 1952 erhielt er den Auftrag, an der Northwestern University Medical School in Chicago ein Herzkatheterlabor aufzubauen und zu leiten. Bis 1954 sammelte er in Zusammenarbeit mit dem Kinderkardiologen Stanley Gibson erste Erfahrungen mit Herzkatheterisierungen bei älteren Kindern.
Im Rahmen der Verfolgung von Kommunisten und Sozialisten in der Mc Carthy-Ära geriet auch Gerald Graham ins Visier des FBI. Kurt Rosenfeld, ein Bruder seiner Mutter, der nach Ende des 1. Weltkriegs kurzzeitig in Preußen sozialistischer Justizminister und führend im sozialistischen Widerstand gegen Hitler war und deshalb in den frühen 30ern in die USA auswandern musste, ließ ihn verdächtig erscheinen. Es drohte ein Berufsverbot, so dass er einer Einladung des Great Ormond St. Hospital for Sick Children (GOSH), London folgte und den Aufbau und die Leitung eines Herz-Katheterlabors übernahm. Ab 1961 entwickelte er eine Herz-Lungen-Maschine für Säuglinge und Kinder, mit der ab 1962 die herzchirurgische Tätigkeit dort erheblich gesteigert werden konnte. Mit seinen „pump boys“ war er bis in die achtziger Jahre verantwortlich für deren Einsatz. So wurde er zum Mittelpunkt der kinderkardiologischen Diagnostik und der herzchirurgischen Behandlung. Die Zahl der seinerzeit in der Cardiothoracic Unit des GOSH behandelten Kinder mit angeborenen Herzfehlern war die weitaus höchste im UK und über lange Zeit auch in Europa. So entwickelte sich diese Klinik zu einem Mekka für Kinderkardiologen und Kardiochirurgen vom alten Kontinent. Neben seiner klinischen Tätigkeit übernahm er Mitte der fünfziger Jahre die Redaktion der englischsprachigen Ausgabe der DMW und gründete Ende der siebziger Jahre zusammen mit Robert Miller „Pediatric Cardiology“, das über lange Zeit einzige Journal auf diesem Gebiet, das er als Chefredakteur bis zu seiner Pensionierung 1984 leitete. In den folgenden 15 Jahren war er verantwortlich für die Londoner Abteilung des Springer-Verlags, also bis in sein 80. Lebensjahr.
Aus der Sicht der deutschen Kinderkardiologie war Gerald Graham nicht nur der erste Botschafter aus der angelsächsischen Welt der Kardiologie, sondern über fünf Jahrzehnte treuer und hilfreicher Vermittler von Kontakten und großzügigen Angeboten zur praktischen Fortbildung im GOSH. Vom Beginn der so genannten Pädiatrischen Kreislaufkolloquien 1961 an hat er bis zuletzt an den Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie fast immer auch aktiv teilgenommen. 1969 war er in Münster als Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Kardiologie anwesend. Unbestritten liegt sein Hauptverdienst für die Deutsche Kinderkardiologie aber in der Aufnahme junger Kollegen in die „Cardiothoracic Unit“ des GOSH, wo sie alle Facetten der invasiven Diagnostik und operativen und postoperativen Behandlung auf höchstem Niveau kennenlernen konnten. Von diesem großzügigen Angebot wurden auch nicht wenige Kardiochirurgen angezogen. Fast alle haben später leitende Positionen erreicht.
Weit über seine beruflichen Verdienste hinaus war Gerald Graham ein bemerkenswerter Mensch. Er dachte nicht nur klar, sondern handelte im Beruflichen zielstrebig und in Bereich der Wissenschaft kritisch und überlegt. Dabei zeichnete ihn die Fähigkeit aus, auf die Menschen offen zu zugehen und mit diplomatischem Geschick seine Vorstellungen vorzutragen und seine Ziele zu verfolgen. Wo immer er sich zeigte, umgaben ihn Menschen, die ihn bewunderten und verehrten, hatte er doch vielen den Weg gewiesen und oft auch geebnet. Aus der Sicht der deutschen Kinderkardiologie war Gerald Graham ein Deus ex machina. Ihm kommt unbestritten das Verdienst zu, nach dem Krieg, der alle Bande in das Ausland zerstört hatte, als erster ohne Vorbehalte wieder nach Deutschland zu kommen und Kontakte zu knüpfen und zahlreichen jungen deutschen Kinderkardiologen großzügig die Möglichkeit zur Hospitation in seiner „Cardiothoracic Unit“ zu bieten. Für uns über mehr als ein Jahrzehnt auch von der Welt der Wissenschaft Ausgeschlossenen war er der uneigennützig helfende und wegweisende Kollege, mehr aber noch ein Vorbild an menschlicher Größe. Aufgrund seiner unschätzbaren Verdienste um die deutsche Kinderkardiologie verlieh ihm die Gesellschaft die Ehrenmitgliedschaft.Wir Kinderkardiologen in Deutschland trauern und nehmen schweren Herzens Abschied von einem unserer wichtigsten Lehrer und einem unvergesslichen Freund.
Carlo Kallfelz 17. Februrar